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RSSPrint

Konzeption der Krankenhausseelsorge

im Kirchenkreis Oderland-Spree

„Ich war krank und ihr habt mich besucht“ (Mt 25,36)
„Hört doch meiner Rede zu und lasst mir das eure Tröstung sein.“ (Hiob 21, 2) 
Konzeption der Krankenhausseelsorge im Kirchenkreis Oderland-Spree (Stand 2018)

1. Grundlagen und Selbstverständnis der Krankenhausseelsorge

1.1 Seelsorge - biblisch-theologische Orientierung
Ausgehend von dem Vorbild Jesu ist die Seelsorge für die christliche Gemeinde seit 
ihren Ursprüngen ein zentraler Dienst. Sie gründet in dem Auftrag Jesu Christi, „den Menschen nahe zu sein, sie zu besuchen, ihnen zuzuhören und sie zu trösten ...“Sie „beruht wie alles Reden und Tun im Namen Jesu Christi auf der Verheißung seiner Gegenwartund verweist auf das Kreuz und die Auferstehung Jesu Christi als Zeichen dafür, dass Gottes barmherzige, vergebende und Recht schaffende Liebe beständig und zuverlässig ist.“3

1.2 Von der Krankenseelsorge zur Krankenhausseelsorge
Aus dem Hospital mittelalterlicher Prägung, das sich aus christlicher Motivation der Pflege und Betreuung kranker und sterbender Mitmenschen verschrieb, hat sich vor allem im Zuge der säkularisierenden Tendenz im Verständnis von Krankheit, Heilung und ärztlichem Handeln das Krankenhaus zu einer Großinstitution entwickelt, in der Krankheiten mit allen zur Verfügung stehenden chemischen und operativen Mitteln bekämpft werden. Entstanden sind Gesundheitszentren als hochdifferenzierte Institutionen einer an Effizienz und Wirtschaftlichkeit orientierter Gesundheitswirtschaft, wo medizinische Hochtechnologie zur Diagnostik und Therapie von Krankheiten zum Einsatz kommt und therapeutische Maßnahmen, insofern sie von den Krankenkassen finanziert werden sollen, naturwissenschaftlich fundiert sein müssen. Im Ergebnis der Überführung der Ergebnisse medizinischer Forschung in die Praxis sind hochspezialisierte Kliniken entstanden, die als spezielle Systeme ihre eigene Kultur und Sprache haben und nach systemimmanenten Gesetzmäßigkeiten funktionieren. In der Folge dieser Entwicklung versteht sich die Seelsorge im Krankenhaus zunehmend nicht mehr nur als Krankenseelsorge sondern als Kranken
hausseelsorge und richtet sich nicht mehr nur an die Kranken, ihre Angehörigen und Zugehörigen, sondern mehr und mehr auch an die Mitarbeitenden des Krankenhauses und an die Institution Krankenhaus als solche. Sie arbeitet mit an „Zielsetzung und Struktur, ... Betriebsklima, ... ‚Patientenorientierung’ ... (und) Kommunikationskultur“des Krankenhauses und setzt sich direkt an der Basis für Anliegen ein, die sonst möglicherweise zu wenig Berücksichtigung fänden, z.B. für einen menschenwürdigen Umgang mit Sterbenden und Toten, für die Einrichtung von Abschiedsräumen und die Etablierung von Ethikkomitées.An einem Ort

Ordnung des kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche der Union, Berlin 1999, 86
Ebd.
Ebd.
Michael Klessmann, Seelsorge. Begleitung, Begegnung, Lebensdeutung im Horizont des christlichen Glaubens, Neukirchen-Vluyn 5 überarb. u. akt.2015, 352

Vgl. ebd.

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extremer Leistungsorientierung auf der einen Seite und eingeschränkter Leistungsfähigkeit auf der anderen Seite steht die Krankenhausseelsorge dafür ein, dass Menschen von Gott her unabhängig davon, was sie leisten, Sinn und Würde zugesprochen ist.

1.3 Die rechtlichen Voraussetzungen der Krankenhausseelsorge
Die Möglichkeit der Präsenz der Kirchen als Seelsorge in den Krankenhäusern basiert 
rechtlich auf dem Grundgesetz Art. 4, (2) („Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“) und Art. 141 der Weimarer Reichsverfassung, der Bestandteil des Grundgesetzes ist („Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten und sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.“).

1.4 Seelsorge im Krankenhaus als „Kirche am anderen Ort“
Krankenhausseelsorge ist das Ergebnis eines aktiven kirchlichen Umgangs mit dem Prozess gesellschaftlicher Differenzierung. Unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen ermöglicht sie die Partizipation am kirchlichen Leben (Seelsorge, Verkündigung, Bildung, ...) in einem besonderen nichtkirchlichen Bereich. Als Kirche „am anderen Ort“ ist sie nicht ein Ort der „Anwendung“, sondern ein Ort der Entstehung von Kirche.
Wir wissen, Situationen der Anfechtung und des Nicht-weiter-Wissens sind auch Orte der Gott-Suche, Orte einer Spiritualität der Brüche, wo das Leben Fragment sein darf, Orte, wo Glaube erschüttert, aber auch neu gefunden wird. Im Kontext des Krankenhauses, angesichts von Grenzsituationen zwischen Leben und Tod und der daraus sich aufdrängenden existentiellen Fragen (z.B. Sinnfragen, Wertefragen, Fragen nach Machbarkeit, Fehlbarkeit, Schuld, Vergebung, Versöhnung usw.), hat die Kirche die besondere Chance, die Antworten des christlichen Glaubens mit ins Gespräch zu bringen.
Das Krankenhaus ist ein Ort der Unterbrechung. Wenn ein Mensch im Krankenhaus Hilfe sucht, dann tritt alles andere zurück. Am Ort dieser Unterbrechung kirchlich präsent zu sein, bedeutet teilzuhaben an den Nöten und Chancen dieser Unterbrechung, gerade auch jenseits der (oft fehlenden) Gesprächsmöglichkeiten im normalen Leben. So stellt die Krankenhausseelsorge eine Schnittstelle und Berührungsfläche mit Menschen verschiedenster Couleur dar, wie sie sonst kaum anzutreffen sind. In dem fremden und oftmals verwirrenden Umfeld des Medizinbetriebs kann sie ihnen zur Seite stehen, kann ihnen in ihren Krisen nahe sein und sie in einer Umbruchsituation unterstützen, neue Wege zu finden. So kann sie 
„am anderen Ort“ ihre Glaubwürdigkeit und Relevanz erweisen.6

1.5 Krankenhausseelsorge als aufsuchende Seelsorge

6Vgl. Sebastian Borck, Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben. Die Kirche und ihre Dienste und Werke in den Herausforderungen der Gesellschaft, Kiel 2016

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Das Hingehen ist das durchgängige Motiv im Handeln Jesu. Mit dem Angebot von Gottes Heil ging er hin auf die Straßen und Plätze und in die Häuser der Menschen, ohne Ansehen der Person.Seine Jünger sendete er aus, zu den Menschen hinzugehen.Insofern Krankenhausseelsorge Kirche am anderen Ort ist, entspricht sie bereits dieser Aussendungsstruktur: Kirche lädt nicht nur ein, sondern geht hin zu den Menschen, dorthin wo sie leben und ihr Leben bewältigen. Im Krankenhaus selbst lädt sie zwar zu Andachten und Gottesdiensten ein, aber auch hier ist sie vor allem aufsuchende Seelsorge. Sie sucht von sich aus den Kontakt zu den Menschen, unabhängig von ihrer Kirchen- und Religionszugehörigkeit. Das entspricht dem Auftrag Jesu.

1.6 Krankenhausseelsorge als Seelsorge im Zwischenraum
Die Krankenhausseelsorge ist in mehrfacher Hinsicht „Seelsorge im Zwischenraum“9: Sie ist ein Dienst im Auftrag der Kirche, wird aber im Krankenhaus ausgeführt. Im Krankenhaus selbst stehen die Seelsorgenden zwischen Patienten und Mitarbeitenden. Methodisch ist die Krankenhausseelsorge zwischen Alltagsgespräch, Psychotherapie und liturgischem Gespräch angesiedelt. In dieser mehrfachen Zwischenstellung verfügt sie über Freiräume, die es ihr möglich machen, zu beiden Institutionen, der Kirche wie dem Krankenhaus, eine „distanzierte Loyalität“10 zu wahren, die ihr auch kritische Stellungnahmen ermöglicht11.

1.7 Krankenhausseelsorge als spezialisierter Dienst im Krankenhaus
Sich um Kranke und Sterbende zu kümmern, ist von Anfang an ein Auftrag an die ganze Gemeinde. Um jedoch im heutigen System Krankenhaus als Gesprächspartner auf Augenhöhe und als gleichberechtigtes Teammitglied in multiprofessionellen Teams respektiert zu sein, bedarf es auch speziell qualifizierter Sorgerinnen und Seelsorger mit einer gewissen Feldkompetenz. Dazu gehören z.B. Sprachfähigkeit im Kontext medizinischer Fachsprache, die Kenntnis des Systems Krankenhaus, seiner Dynamiken und des rechtlichen Rahmens, Ethikkompetenz, Kompetenz für den palliativen Bereich und für Spezialbereiche wie z.B. Psychiatrie und Geriatrie.
Des Weiteren bedarf es eines bestimmtes Maßes an Präsenz vor Ort, damit die nötigen Beziehungen, Vertrauen, Respekt und Glaubwürdigkeit wachsen kann und verlässliche Erreichbarkeit gewährleistet ist.
Insofern die Krankenhausseelsorge auch Arbeit mit Ehrenamtlichen ist, sollte sie auch für diese kompetente Ansprechpartnerin direkt am Dienst- und Einsatzort sein. 
Darum ist eine „gemeindliche Mitversorgung“ des Krankenhauses nicht ratsam.

Vgl. Lk 19,1-10; Mk 2,13-17 u.v.a.
vgl. Mk 6,7-13 u.a.
Michael Klessmann, Seelsorge. Begleitung, Begegnung, Lebensdeutung im Horizont des christlichen Glaubens, Neukirchen-Vluyn 5 überarb. u. akt.2015, 353
10 Ebd.
11 Ebd.

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2. Herausforderungen

1. zivilgesellschaftlich (Menschenbild, Entkirchlichung, kultursensible Seelsorge, sich verändernde Spiritualität / Vielfalt)
Hatten Seelsorger vor 50 Jahren mutmaßlich auch im Krankenhaus noch ein recht klares Bild von ihrem Auftrag, nämlich Christen in der Krankheitssituation zu begleiten durch Gespräch und geistlichen Beistand, der aus der Tradition entlehnt werden konnte, so stehen heutige Seelsorger*innen einem großen Traditionsabbruch gegenüber, durch den sie kaum an verbindliche Formen anknüpfen können, und sich auf eine individuell sehr verschieden entwickelte Spiritualität einstellen müssen. Sie sehen ihre Aufgabe zumeist deutlich weiter gefasst, indem sie auch Andersgläubigen (auch Atheisten) geistlichen Beistand leisten und ihnen so möglicherweise eine andere Dimension eröffnen. Die Seelsorge im Krankenhaus setzt Offenheit für anders geprägte Menschen voraus, auch was die zunehmende kulturelle Vielfalt angeht. Durch die starke Individualisierung in unserer Gesellschaft, die den Menschen immer mehr Flexibilität abverlangt, ist auch der/die Seelsorgende zu Flexibilität herausgefordert und zur Kreativität, was die geistliche Betreuung angeht. Hierfür ist eine umfassende Bildung und Horizonterweiterung unbedingt hilfreich.

2. System Krankenhaus
Auch wenn das Krankenhaus nach wie vor für jede Person ein Ort der Hilfe sein will, arbeitet es doch wie ein Wirtschaftsunternehmen. Hierdurch entstehen sowohl für Patient*innen als auch für Mitarbeitende Härten, mit denen sich auch die Krankenhausseelsorge konfrontiert sieht, wenn sie Betroffenen zur Seite steht. Hier klaffen christlicher Anspruch und Wirklichkeit zuweilen erheblich auseinander, wenn z.B. aufgrund der immer geringeren Personalschlüssel die menschliche Fürsorge für die Patienten leidet und Mitarbeitende oftmals zu Recht Arbeits- bzw. Lohngerechtigkeit einfordern. Die Seelsorge findet inmitten dieser Spannungen statt und muss sich zudem noch ihren Ort in den hierarchischen Strukturen des Krankenhausbetriebes suchen, in denen sie keinen festen Platz hat. Gerade was geistliche Angebote für Mitarbeitende angeht, ist es oftmals problematisch, diese überhaupt im Krankenhausalltag zu erreichen, undso ereignet sich manches Seelsorgegespräch zufällig am Rande („Seelsorge in Zwischenräumen“). Das Agieren im Krankenhaus als Seelsorger*in verlangt ein hohes Maß an Flexibilität. Hier bleibt die Herausforderung, den Platz der Seelsorge weiterhin zu konsolidieren.

3. Moderne Medizin
Durch die stetige Entwicklung der Medizin ist auch die seelsorgliche Arbeit im Wandel. Durch verkürzte Liegezeiten kommt es zuweilen nur zu einmaligen Kontakten mit Patienten, die aber dadurch u.U. ein ganz anderes Gewicht bekommen. Die Möglichkeiten der Medizin führen alle Beteiligten immer häufiger in kritische Situationen, was ethische Fragestellungen betrifft. Hier sind Seelsorger*innen in besonderer Weise herausgefordert, und man erwartet von

ihnen zumeist die Mitwirkung in Ethikkomitees oder sogar deren Initiierung. In jedem Fall aber sind sie Ansprechpartner*innen bei ethischen Konfliktfällen.

4. Kirchliche Situation
Die gesellschaftliche Akzeptanz der Kirchen geht stark zurück; im Osten Deutschlands ist sie ohnehin schon viel schwächer ausgeprägt. Dadurch hat die Seelsorge, besonders als christliches Anliegen, ihre Selbstverständlichkeit vielerorts eingebüßt, was bedeutet, dass ihr Platz z.T. erkämpft und vor allem plausibel gemacht werden muss. (Spiritual Care ist Chance und Herausforderung für die Seelsorge zugleich, denn sie ist gewissermaßen eine Bewegung säkularisierter Seelsorge, die auf einer ähnlichen Grundhaltung von Achtung und Verstehen und Liebe basiert. Hier gilt es, um der Sache willen gemeinsame Wege zu gehen, und dabei doch das eigene Profil zu wahren.) Zum Wohl besonders der Kranken ist eine Sicherung, ja möglichst sogar ein Ausbau der seelsorglichen Betreuung wünschenswert. Auf der anderen Seite stellt sich aber angesichts der ernüchternden Zahlen von Theologiestudierenden doch die Frage: Wer wird in Zukunft die Krankenhausseelsorge machen? Wird es veränderte Ausbildungswege geben müssen?

5. nicht versorgte Häuser / Pflegeeinrichtungen
Trotz der bangen Frage um den Nachwuchs in der Seelsorge ist eine Stellenplanentwicklung, die auch die beachtliche Zahl von nicht versorgten Häusern in den Blick nimmt, - und hier sind besonders Pflegeeinrichtungen zu nennen -, dringend erforderlich und zugleich eine große Herausforderung. Selbstevaluation in Zusammenarbeit mit der für die Krankenhausseelsorge zuständigen stellvertretenden Superintendentin und mit der Landespfarrerin für Krankenhausseelsorge

Letzte Änderung am: 14.09.2023